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AutorenbildBonusmutter Jule

Über das Sitzenbleiben

Aktualisiert: 18. März 2022



Gegen Ende des ersten Schulhalbjahres wurden wir von Annika und der Information, dass sie in drei Fächern „5“ stünde überrascht. Wir wurden wirklich überrascht, denn bisher hatte Annika immer ein gutes Zweier-Zeugnis gehabt, das maximal einen Ausreißer in Form einer „Unmotivations-4“ aufwies.

Doch aktuell war es so, dass Annika auf Physik, Chemie und Politik so gar keine Lust hatte. Physik und Chemie überraschte ein wenig, da sie sich für die 8. Klasse entschieden „Bio/ Chemie Differenzierung“ zu wählen, was ja – so aus meiner Sicht des Naturwissenschaftsdeppen – inhaltllich gefühlt sehr nah bei Physik und Chemie liegt.


Im Zuge des Homeschoolings vor Weihnachten zwangen wir Annika ihre Lehrer in Physik, Chemie und Politik anzumailen und sie um eine Zusatzaufgabe zu bitten, um ihre Note zu verbessern.

Annika war davon nicht begeistert. Ihr Plan war die Ferien zu chillaxen und dann danach „Gas zu geben.“ Wir machten ihr deutlich, dass es bis zu den Zeugniskonferenzen am 21.1. nun nicht mehr so lange wäre und da nicht mehr viel zu retten sei.


Nach einem großen Drama und diversen irrationalen Ausreden hatten wir sie endlich so weit, dass sie eine Email an den nettesten der drei Lehrer formulierte: den Chemielehrer – ein wohl echt cooler Typ. Nachdem die Email formuliert war, was sage und schreibe einen ganzen Vormittag gedauert hat, überzeugten wir Annika diese Email nun auch noch an die anderen beiden Lehrer zu schreiben. Sie befürchtete Schlimmes: insbesondere Herr C. – der böse Physiklehrer – würde sie dann noch blöder finden.


Ich versprach ihr, dass wir sie nicht weiter zu Sonderaufgaben zwingen würden, wenn Herr C. zurückschreiben würde: „Annika ist eh doof. Da lohnt es sich auch nicht mehr, Sonderaufgaben zu machen.“ Das versöhnte sie und gab ihr Hoffnung. Wir schicken die Email ab.


Die Antworten der Lehrer

Am darauf folgenden Tag schrieb dann direkt Herr C. zurück, dass die Ferien ja zum Erholen da seien und er es daher eigentlich nicht richtig finden würde, wenn Annika in den Ferien lernen würde. Annika feixte. Wir feixten auch, denn dummerweise hatte ausgerechnet der „schlimmste“ aller Lehrer total nett als erstes geantwortet. Zudem hatte er noch jede Menge Vorschläge mitgeschickt, worüber Annika ein freiwilliges Referat halten könnte. Annika vertrat dann zwar die Auffassung, dass Herr C. auch fände, dass sie lieber chillen sollte, aber wir überzeugten sie, dass er ja auch Möglichkeiten aufgezeigt hatte, um die Note zu verbessern.


Die Politiklehrerin – nennen wir sie der einfachhalthalber Frau A. – antwortete drei Tage später. Die Email wollte Annika in Beisein ihres Bruders nicht vorlesen, so dass dieser den Raum verlassen musste. Frau A. antwortete ziemlich unmissverständlich, dass es nicht möglich sei, das Nichtmitarbeiten im Unterricht eines halben Jahres mit einer kleinen Sonderaufgabe zu retten. Annika könnte durch intensivstes Mitarbeiten in den noch verbleibenden Tagen höchstens auf eine Vier kommen.

Annika war sauer- auf Frau A. (und natürlich auf sich selbst, was sie allerdings nicht zugeben wollte).


Annika’s Lieblingslehrer (der coolste Chemielehrer – nennen wir ihn Herr B. ) antwortete nach den Ferien – nahezu inhaltsgleich zu der Email von Frau A., dass die Note nicht mehr zu retten sei.


So widmeten wir uns immerhin der Physik-Sonderaufgabe in den Schulferien – mit herzlich wenig Begeisterung von Annika. Schließlich seien die Schulferien ja zum Entspannen da. Das gälte nach unserer Auffassung jedoch nur für Schüler, die sich vorher angestrengt hätten.


Versetzungsrelevante Fächer

Nach den Ferien begann das Homeschooling wieder und Annika lieferte die perfekte Musikhausaufgabe ab. Marc – ganz stolz auf seine Tochter, die so viel Elan gezeigt hatte – fragte mich, ob Musik denn ein versetzungsrelevantes Fach sei?


Diese Frage konnte ich nicht beantworten. Da ich mich stets im oberen Notenbereich bewegt hatte, hatte ich mich auch nie mit der Frage beschäftigen müssen, wann eine Versetzung ernsthaft gefährdet sei.

Ich fragte meinen besten Freund - Mr. Google- und fand das nachfolgende Schaubild vom Schulministerium NRW:


Ich stellte messerscharf fest, dass schon mal kein Fach der Fachgruppe I (Deutsch, Mathe oder Englisch) betroffen war, was – in Anbetracht der Rettungsmöglichkeiten - noch schlechter gewesen wäre.

Wir befanden uns also in der 5. Spalte: 3 x Fünf in der Fächergruppe II. Danach war eine Versetzung jedoch möglich, wenn mindestens eine Drei in einem anderen Fach erreicht wird und eine Nachprüfung erfolgreich abgelegt wurde.

Ich telefonierte mit einer befreundeten Gymnasiallehrerin. Sie war empört – ganz besonders über die Tatsache, dass Annika ausgerechnet in Politik eine Fünf hatte (meine Freundin ist Politiklehrerin).


Der Politikunterricht

Annika interessiert sich leider nicht im Geringsten für Politik.

Ein wenig konnte ich mit ihr fühlen, denn die Jugoslawienkriege standen bei mir in den 90er Jahren auch nicht auf Platz 1 der Themen, die mich brenzlich interessierten.

Wir fragten Annika, was denn so in Politik aktuell gelernt wird. Annika konnte uns dies nicht mitteilen (von ganz ungefähr kommt die Fünf definitiv nicht) und holte ihr (lückenhaft gefülltes) Schulheft. Wir erfuhren, dass in Politik das Thema Unternehmensgründung und Gehälter in Deutschland behandelt worden war. Die Politiklehrerin hatte auch über die Gehälter in den diversen Branchen informiert. [Hinweis der Verfasserin: oft wird der Schule ja vorgeworfen, dass der Unterricht so lebensfern sei - nach unserer Auffassung geht ja schon fast nicht lebensnäher!]


Visionen für die Zukunft

Wir diskutierten mit Annika darüber. Zwar hat Annika sehr klare Vorstellungen darüber, was sie in ihrem Leben alles anders machen würde als wir („Ich werde nicht selber putzen; das kann die Putze machen.“ – „Ich werde Stararchitektin/ Youtube-Star/ sonstiger Job, der viel Kohle bringt.“). Wie sie da allerdings hinkommen will, darüber macht sie sich noch keine Gedanken.

Wir schlugen (wie schon oft) vor, doch erstmal das Abitur zu machen, was eigentlich jede Möglichkeit zuließe. Dafür müsse man sich jetzt allerdings auf den Hosenboden setzen. Abitur wollte sie ja auch machen – schließlich sei sie ja auch klug und besser als alle anderen. Wir wiesen darauf hin, dass die Fünfen dies jetzt nicht direkt zeigten. Annika erklärte uns, dass sie so wenig wie sonst auch für die Schule getan hätte, nur dass dieses Mal die Lehrer viel schlechtere Noten verteilt hätten. Früher hätte dies noch locker für eine Drei gereicht. Diese Aussage konnten wir natürlich nicht bewerten.


Schulfächer nur ein halbes Schuljahr?

Meine Freundin wies mich noch auf eine Besonderheit hin – nämlich, dass manche Fächer bei G8 nur ein halbes Jahr lang unterrichtet werden, so dass es keine Verbesserungsmöglichkeit im 2. Halbjahr gäbe. Panik kam auf.

Ich googelte wie wild los „Schulfach nur ein halbes Schuljahr – Versetzung?“ und wurde dann beim Stichwort „Halbjahresunterricht“ fündig: Gem. § 22 (4) APO- S I [Verordnung über die Ausbildung und die Abschlussprüfungen in der Sekundarstufe I (Ausbildungs- und Prüfungsordnung Sekundarstufe I) sind „die in einem Schuljahr im Wechsel für ein Schulhalbjahr unterrichteten Fächer eines Lernbereichs (Halbjahresunterricht) […] als versetzungswirksam anzukündigen.“


Wir fragten Annika, ob sie eine Ankündigung von der Schule erhalten hätte. Annika konnte dies nicht eindeutig beantworten und fragte bei ihren Lehrern nach, ob die gefährdeten Fächer auch im 2. Halbjahr unterrichtet würden. Dies wäre wohl der Fall. Wir recherchierten im Netz, fanden aber keine gegenteilige Aussage.

Die Internetseite des Gymnasiums lieferte dazu keine Informationen. Wir erfuhren auf einer anderen Seite, dass die betroffenen Fächer im ersten Halbjahr mit zwei Stunden pro Woche unterrichtet würden, dafür im zweiten Halbjahr dann nicht mehr. Meist sei aber Kunst und Musik betroffen.


Auf der Internetseite des Schulministeriums NRW fanden wir nachfolgenden Hinweis:

„Ist die Versetzung einer Schülerin oder eines Schülers gefährdet, weil die Leistungen in einem Fach abweichend von den im letzten Zeugnis erteilten Noten nicht mehr ausreichen, so erhalten die Eltern eine Mitteilung nach § 50 Abs. 4 SchulG, den so genannten "Blauen Brief". Unterbleibt die Benachrichtigung, so wird eine mangelhafte oder ungenügende Leistung bei der Versetzung nicht berücksichtigt. Hätte eine Benachrichtigung für zwei Fächer erfolgen müssen, so bleibt nur eine nicht ausreichende Leistung unberücksichtigt.“

"Ist die Versetzung einer Schülerin oder eines Schülers gefährdet, weil die Leistungen in einem Fach abweichend von den im letzten Zeugnis erteilten Noten nicht mehr ausreichen, so erhalten die Eltern eine Mitteilung nach § 50 Abs. 4 SchulG, den so genannten "Blauen Brief". Unterbleibt die Benachrichtigung, so wird eine mangelhafte oder ungenügende Leistung bei der Versetzung nicht berücksichtigt. Hätte eine Benachrichtigung für zwei Fächer erfolgen müssen, so bleibt nur eine nicht ausreichende Leistung unberücksichtigt.“

Wir waren ein wenig „beruhigt“ (sofern man dieses Adjektiv im Zusammenhang mit der Gesamtsituation überhaupt verwenden kann) – den guten alten „Blauen Brief“ gab es also noch!


Wir setzten darauf, dass Uschi alle Beteiligten über dieses Schriftstück informieren würde. Hier sei zumindest am Rande angemerkt, dass Uschi vom Leistungsabfall ihrer Tochter noch nichts mitbekommen hatte. Im Brustton der Überzeugung hatte sie dem Jugendamt mitgeteilt, dass ihre Tochter eine gute Zweier-Schülerin sei und die Aussagen des Vaters eines seiner Hirngespinste sein müsste. Sie vermittelte das so überzeugend, dass selbst Marc dies für einen kurzen Moment glaubte.


Halbjahreszeugnisse

Wir erwarten nun die Halbjahreszeugnisse und hoffen darauf, dass Annikas Zusatzmühe in Physik vielleicht doch dazu geführt hat, eine bessere Note zu erzielen. Noch mehr hoffen wir darauf, dass es ihr gezeigt hat, dass jeder Arbeitseinsatz auch honoriert wird (wir blenden kurz aus, dass das im „wahren“ Leben nicht immer so ist) und sie durch ihr Tätigwerden ihr Leben selbst beeinflussen kann; dass sie ihre Realität mit erschafft.


Wie es dann im nächsten Halbjahr weitergeht, werden wir sehen…

Stay tuned auf diesem Kanal!


Wie ist es bei Euch? Haben die Bonuskids auch schon mal schlechte Noten mit nach Hause gebracht? Und wie bist Du/ seid Ihr damit umgegangen? Habt Ihr die Gründe für die schlechten Noten erforschen können? Wie habt Ihr Eure Bonuskids wieder motiviert bekommen?

Ich bin gespannt auf Eure Erlebnisse, Erkenntnisse und Anekdoten und freue mich über Eure Kommentare, Emails oder Anrufe.


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